Rückblick Fachtag 2021

Das war unser Fachtag Sterben und Trauer in verschiedenen Religionen im Jahr 2021

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Unser zweiter Online-Fachtag fand am 8. November 2021 statt. Die Online-Übertragung war inhaltlich in drei Programmpunkte eingeteilt: Im ersten Teil haben wir den Film „Trauern in der Fremde – Wie Migrantinnen mit Tod und Trauer in Deutschland umgehen“ geschaut und uns anschließend mit Hedwig Portner, Geschäftsführerin von Ananke Bestattung, darüber ausgetauscht. Danach folgte unsere Podiumsdiskussion zum Thema Sterbebegleitung mit Sofia Daysal, Krankenpflegerin auf der Intensivstation Diakonissenkrankenhaus Leipzig, sowie Tobias Wilzki vom Hospiz Villa Auguste. Am Ende der Diskussion konnten Fragen im Chat gestellt werden. Abschließend haben wir ein Gespräch mit der Trauerbegleiterin und Autorin Chris Paul geführt, die uns ihre Konzepte vorstellt, die sie für die Trauerarbeit entwickelt hat.


Die Veranstaltung wurde organisiert von Mitarbeitenden aus der Diakonie Leipzig, der Ökumenischen Flüchtlingshilfe, der Ev. Luth. Kirchgemeinde St. Thomas, DIE BESTATTUNG ANANKE sowie aus dem Brückenteam am Hospiz Villa Auguste. Wie im vorangegangenen Jahr hat das Sachsen-Fernsehen als Medienpartner für diesen Tag die Produktion übernommen.

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FILM: „Trauern in der Fremde - Wie Migrantinnen in Deutschland mit Tod und Trauer umgehen“ (2011) - Zusammenfassung:

Wie gehen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland mit Trauer und Verlust um, wenn ein Angehöriger in der fernen Heimat stirbt? Darüber erzählen im Film sieben Personen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen. Sie berichten, welche Trauer-Rituale in ihren eigenen Familien üblich sind und ob oder wie sie diese in ihrer neuen Heimat leben. Trotz verschiedener Traditionen fallen gemeinsame Themen auf. Am Lebensende zieht es viele zurück in ihre Heimat. Demgegenüber ist die Trauer um Angehörige, die im Heimatland zurückgeblieben und nicht mit nach Deutschland gekommen sind, besonders belastend: Zu akzeptieren, dass ein nahestehender Angehöriger tot ist, wenn man nicht persönlich beim Sterbeprozess dabei sein und auch nicht dessen Grab besuchen kann, fällt sehr schwer. Das „Psychosoziale Zentrum“ in Düsseldorf hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, einen interkulturellen Trauerort inmitten der Stadt zu schaffen, der offen ist für alle Religionen. Der Trauerort ist ein Anlaufpunkt für alle Menschen, die ihre Trauer ausdrücken möchten, aber dies nicht in der Nähe ihrer verstorbenen Angehörigen können.

Gespräch mit Hedwig Portner zum Film

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Aus ihrer Arbeit als Bestatterin weiß Hedwig Portner, dass ein Trauerort sehr individuell sein kann. Oft reicht nicht nur ein Ort. Trauerorte können Plätze in der Natur oder im eigenen Zuhause sein. Sie entstehen vor der Beerdigung, während eines Trauerprozesses oder erst danach. Durch die Pandemie wurden Hinterbliebene vor die Herausforderung gestellt, neue Trauerorte außerhalb des Krankenhauses zu finden, was Mut und Offenheit von allen Beteiligten erforderte.

Die Heimat sowie das eigene Herkunftsland hat über das Sterben hinaus einen hohen Stellenwert. In der Trauerbegleitung sind sprachliche Barrieren eine Hürde; sie erschweren es, Trauer verbal auszudrücken. Zur Aufgabe der Trauerbegleitung gehört es deshalb, Ängste zu nehmen und aufzuzeigen, was möglich ist. Einen alternativen Trauerort wie im Film, der sich speziell an Menschen mit Migrationsgeschichte richtet, gibt es in Sachsen noch nicht, ist aber für die Zukunft wünschenswert. Hedwig Portner betont, dass Trauer auch unabhängig von Religionen immer bunter werde.


Podiumsdiskussion

Vor welchen Herausforderungen steht die Sterbebegleitung? Und wie kann sie Menschen mit Migrationshintergrund gerecht werden? Diesen Themen widmet sich die Podiumsdiskussion aus zwei unterschiedlichen beruflichen Perspektiven, die maßgeblich die Mittel und Möglichkeiten der Sterbebegleitung beeinflussen: Tobias Wilzki spricht aus der Sicht der ambulanten Palliativpflege, Sofia Daysal berichtet vom Umgang mit sterbenden Patienten auf der Intensivstation.


Rolle von „Heimat“ am Lebensende

Heimat hat als Ort eine besondere Bedeutung, vor allem wenn jemand vertrieben wurde oder gehen musste. Migrationsfamilien müssen lernen damit umzugehen, dass mehrere Orte Heimat sind. In der Regel entsteht aber in den Momenten ein Heimatgefühl, in denen die Familie des Patienten zusammenkommt. Oft ist das Heimatland mit nostalgischen Gefühlen und einer Sehnsucht nach Geborgenheit verbunden. Gerade in existentiellen Momenten wie Geburt und Tod zieht es viele Menschen wieder dorthin, besonders wenn die Auswanderung nach Deutschland nur vorübergehend gedacht war.

Kulturelle und sprachliche Herausforderungen

Auf der Intensivstation ist es möglich, dass Angehörige in die Pflege des Patienten einbezogen werden, zum Beispiel durch das Mitbringen von Speisen. Dazu ermutigt das Personal, auch wenn am Anfang vonseiten der Angehörigen häufig Ängste bestehen. Bisher konnte man sich immer auf Deutsch verständigen. Im Krankenhaus könne außerdem auf eine Dolmetscher-Liste zurückgegriffen werden und es gäbe viele Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, sodass die gängigen Sprachen wie Arabisch und Russisch abgedeckt werden.

Die Offenheit, über das Lebensende zu sprechen, ist in Deutschland gestiegen. Bei Menschen aus anderen Ländern rufe diese Offenheit oft Befremden hervor. Mit Angehörigen oder gar dem Patienten selbst über den Tod zu sprechen, ist ein großes Tabu. Sprachbarrieren erschweren die Arbeit in der Notfallversorgung sowie das Kennenlernen der Familien. Über die Muttersprache sei eine ganz andere Nähe möglich. Dies zeigt z. B. die Zusammenarbeit mit russischsprachigen Pflegediensten, die oft als Dolmetscher fungieren. Vergleichbares fehlt für die arabische Sprache. Für die sprachliche Vermittlung werden oft Angehörige oder ein Pflegedienst zwischengeschalten.

Aufarbeitung von Erinnerungen und Traumata

Gerade am Lebensende möchten viele Menschen ihre Erinnerungen aufarbeiten, um zur Ruhe zu kommen. Sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich kommt es oft vor, dass sich Menschen viel „von der Seele reden“ möchten, was sie vorher noch nie jemandem mitteilen konnten. Gespräche und ehrliches Interesse an den Geschichten der Patienten sind in der Begleitung essentiell. In der Palliativpflege ergibt sich ein noch persönlicherer Zugang als auf der Intensivstation, denn die Arbeit findet im Zuhause des Patienten statt, das voller Erinnerungen ist, und meist kann sich mehr Zeit genommen werden. Speziell mit der Aufarbeitung von Traumata bei Menschen mit Migrationshintergrund gibt es noch keine Erfahrungen.

Möglichkeiten des Abschieds unter Berücksichtigung individueller Bedürfnisse

podiumsdiskussion_599.pngIm Krankenhaus ist kein eigener Abschiedsraum vorhanden, doch wenn möglich, wird der Patient in ein Einzelzimmer verlegt, damit Angehörige sich in Ruhe verabschieden können. Zusätzlich findet eine gute Zusammenarbeit mit der Seelsorgerin und dem Palliativteam statt. Eine Anpassung an individuelle Wünsche sei jedoch auf der Intensivstation kaum möglich. Die Seelsorge wird gern in Anspruch genommen, habe aber in der Regel wenig mit Religion zu tun. Wenn gewünscht, kann in Eigeninitiative dennoch z. B. ein Imam, Rabbi etc. hinzugezogen werden.

Im häuslichen Bereich ist sehr viel möglich. Es gibt einen formellen Ablauf, der eingehalten wird, von einem ausführlichen Telefonat mit Patient und Angehörigen bis hin zu einem persönlichen Gespräch mit Anwesenheit des medizinischen Personals. Um den Moment des Sterbens zu besprechen und dafür ein Bewusstsein zu schaffen, stellt das Palliativteam einfache, behutsame Fragen und lässt den Patienten letztlich selbst entscheiden.

Verbesserungswünsche

Für die Intensivstation wünscht sich Sofia Daysal einen Abschiedsraum, in dem der Patient und seine Angehörigen ungestört sein können. Als Schwester hätte sie insgesamt gern mehr Zeit, um Patienten und Angehörige gut zu begleiten. Im Hospiz- und Palliativbereich sei man, so Tobias Wilzki, schon nah am Ideal, denn flexible Möglichkeiten seien nicht selbstverständlich. Zudem seien mehr Fachkräfte mit interkulturellem Hintergrund wünschenswert. Denkbar ist außerdem, zu Ansprechpartnern aus verschiedenen Religionen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, um sich bei Unsicherheiten im Umgang mit Patienten und Angehörigen, besonders zu kultursensiblen Themen, Rat einholen zu können.

Was Sterbebegleitung ausmacht

Für Sofia Daysal bedeute gute Sterbebegleitung, jemandem die letzten Wünsche zu erfüllen. Dies sei sehr situationsabhängig und es komme nicht nur darauf an, wo jemand herkommt. Das Personal sollte versuchen, sich von Patienten und Angehörigen „mitreißen zu lassen und etwas Neues zu erfahren“. Tobias Wilzki bringt den Auftrag, den er für sich als Sterbebegleiter sieht, auf den Punkt: „Sich die Zeit zu nehmen für das, was dran ist, und die absolute Akzeptanz des Weges, den der Betroffene wählt - den muss ich nicht gut, richtig, verständlich finden.“ Auch wenn viele Menschen Hospiz mit Kirche in Verbindung bringen, würde Religion im Arbeitsalltag keine Rolle spielen. Momentan gebe es (noch) keine religions- oder kulturspezifische Sterbebegleitung, doch er betont: „Was es immer gibt, ist eine menschliche Sterbebegleitung.“


„Trauern ist die Lösung, nicht das Problem.“ - Gespräch mit Chris Paul

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Chris Paul ist seit 20 Jahren in der Begleitung trauernder Menschen aktiv. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit der kognitiven Durchdringung von Trauerprozessen und hat dazu zwei Bücher veröffentlicht: „Ich lebe mit meiner Trauer“ und „Wir leben mit deiner Trauer“. Beide Bücher sind als Unterstützung dafür gedacht, die Sprachlosigkeit zu durchbrechen, die oft die Beziehung zwischen Trauernden und ihrem Umfeld belastet. Dabei sind menschliche Kontakte im Trauerprozess die wichtigste Ressource. Die Bücher richten sich an unterschiedliche Zielgruppen: „Ich lebe mit meiner Trauer“ nimmt die Perspektive der Trauernden ein; „Wir leben mit deiner Trauer“ spricht die große Gruppe von alltäglichen Trauerbegleitern, wie Freunde und Familie an, die jemanden privat in der Trauer begleiten und lernen sollten, Grenzen zu setzen.

Außerdem hat Chris Paul das „Kaleidoskop des Trauerns“ entwickelt. Das Modell der Trauerphasen enthält die wichtigsten Traueraufgaben und kann im Trauerprozess genutzt werden, um einen Verlust zu verarbeiten und einen trauernden Menschen emotional zu stabilisieren. Erfahrungsgemäß fühlen sich viele Menschen mit der grafischen Darstellung des Trauerprozesses zu einer kreativen Auseinandersetzung eingeladen. Zum Trauer-Kaleidoskop gibt es zahlreiche Übungen, die Chris Paul auf ihrer Webseite zusammengestellt hat: www.trauerkaleidoskop.de

Gefragt nach der Bedeutung von Religionen und kulturellen Hintergründen in ihrer Arbeit, spricht sie lieber von Spiritualität. Viele Menschen sähen sich nicht mehr in gefassten Religionen. Für Trauernde, die eine Form von Spiritualität leben, kann diese eine große Kraftquelle sein - und die Suche nach Kraftquellen soll in der Trauerbegleitung im Fokus stehen.


Auf den nächsten Fachtag können wir uns hoffentlich in Präsenz freuen.


Ansprechpartnerin: Ramona Baldermann-Ifland
Diakonie Leipzig - Fachstelle Migration
T 0049 341 58617224
ramona.baldermann(at)diakonie-leipzig.de